Abschrift: Erinnerungen aus der Zeit der Zwangsarbeit in Berlin im Jahre 1942

Ich wurde am 2. Mai 1924 in Lodz als der zweite Sohn in einer fünfköpfigen Arbeiterfamilie geboren. Der 2. Weltkrieg unterbrach meine Ausbildung (darunter auch den Deutschunterricht) an dem Staatlichen Handelsgymnasium für Jungen (ein Stadtviertel - Anm. d. Ü.) in Lodz. Als ich gerade 18 geworden bin, musste ich, auch wegen der Lebensmittelkarten, die Arbeit in der AEG-Filiale in Lodz , Wodny Rynek (während der Besatzung: Adolf-Hitler-Platz) aufnehmen. Anfang Juli 1942 wurde ich von diesem Betrieb zur Zwangsarbeit nach Berlin verschleppt, wo ich die Eisendrehmaschine bediente. Zu meinem Wohnort wurde das erste Stockwerk eines Etagenbettes, das in einem großen Saal (der einst wohl für Veranstaltungen diente) stand. Das war in Königsdorf bei Berlin. In diesem Saal wohnten zusammen mit mir etwa 40-50 Personen, Arbeiter der AEG.

Für die Nacht deckte ich mich mit einer Decke zu, die jedoch vor Flöhen nicht schützte, die uns rund um die Uhr und überall stachen. Das Abendbrot konnte ich mir aus den Produkten, die ich gegen Lebensmittelkarten kaufte, auf dem gußeisernen Ofen mit vier Kochstellen (...) zubereiten. Der Rauch von dem verbrannten Holz ging durch ein etwa 2 m-langes Stahlrohr an der Decke dieses kleinen Raumes entlang... hinaus,der mit etwa 1,5 x 2,5 m die Küche darstellte. Unter diesen Bedingungen konnte man das Essen nur gebückt oder im Hocken zubereiten, denn in der Höhe über 1 Meter war der Raum mit Qualm aus dem Ofen gefüllt. Zum Frühstück kaufte ich mir etwas für Lebensmittelkarten, aber das Mittagessen, den sogenannten Eintopf, aß ich in der Fabrik während der Mittagspause.

Ich arbeitete, wenn ich mich recht entsinne, von 6 bis 17 Uhr (vielleicht bis 18, und samstags wohl kürzer); der Sonntag war frei. Die hygienischen und sanitären Bedingungen in Königsdorf waren schrecklich. Es fehlten die Duschen, Waschbecken, Lüftungsanlagen. ... Zur Arbeit und zurück fuhren wir mit der S-Bahn. An Samstag- und Sonntagabenden konnte man die Freizeit mit Spaziergängen im nahen Wald oder mit Fahrten an den See verbringen.

Kurz nachdem ich die Arbeit bei der AEG in Berlin aufnahm, wurde ich nach 6 Wochen krank. Ich ging zu dem Ortsarzt in Königsdorf. Dieser Arzt untersuchte mich gründlich und empfahl mir, am nächsten Tag den Betriebsarzt aufzusuchen. Der Betriebsarzt rief während der Untersuchung beim Arzt in Königsdorf an und führte mit ihm ein ziemlich scharfes Gespräch. Dann beendete er die Untersuchung und sagte nichts. Am nächsten Tag, da ich nicht wusste, was ich tun sollte, ging ich zur Betriebsverwaltung. Eine junge nette Frau ließ mich warten, als sie von mir erfuhr, dass ich beim Arzt war. Nach einer Weile brachte sie mir einen versiegelten Umschlag mit der Anschrift der Lodzer AEG-Filiale und erklärte, ich sei krank und von der Arbeit entlassen. Sie sagte, ich sollte den Umschlag in der AEG-Filiale in Lodz abgeben und vor der Abreise alle Werkzeuge, die ich angenommen hatte, zurückbringen.

Ich machte alles, was sie sagte, verabschiedete mich von allen Personen aus meiner Umgebung und kehrte am nächsten Tag mit dem Zug nach Lodz zurück. Bis heute weiß ich nicht, woran ich krank war. Ich vermute aber, es war etwas mit dem Herzen, xxxxx. Aus dieser Zeit behielt ich nett in Erinnerung: den Arzt aus Königsdorf, den Meister, der mir das Drehen beibrachte und die Frau von der Verwaltung, die mir den Brief an die AEG-Filiale in Lodz aushändigte.

xxxxx

Ich füge bei:
1. die Kopie der ersten und der letzten Seite des Arbeitsbuches (des Umschlags),
2. die Kopie der Seiten 6 und 7 des Arbeitsbuches,
3. die Kopie des Werkausweises von einem anderen Betrieb mit dem Foto aus dem Jahr 1945.

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DZSW 1464
Kurzbeschreibung

Aleksander M. wurde zur Zwangsarbeit für die AEG zunächst in seiner Heimatstadt, später in Berlin verpflichtet. Kurz nach seiner Deportation erhielt er aufgrund einer Krankheit seine Entlassung und durfte nach Łódź zurück.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1924

 

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Angaben zur Zwangsarbeit

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