Abschrift: Xxxxx

xxxxx geb am 27.12.1912 in Zgierz, verschleppt am 20. November 1942, im Alter von 30 Jahren.

Bezugnehmend auf das Schreiben der Stiftung (...) versuchte ich nach über 55 Jahren, meine Erinnerungen aus Berlin niederzuschreiben. Von den Dokumenten, die meinen Aufenthalt in Berlin bestätigen, ist nur die Arbeitskarte erhalten geblieben, deren Kopie ich beifüge.

Vor der Ausreise nach Berlin arbeitete ich in Zgierz bei der Firma Wittke als Spinnerin. Ende November 1942 bekam ich die Vorladung von dem Ortsarbeitsamt. Von dort ließ man mich nicht mehr nach Hause. Nach ein paar Tagen Aufenthalt im Durchgangslager in Łódź wurde ich nach Berlin gebracht. Dort wurde ich bei der Firma Kromareck und Kniens, hauptsächlich bei der Herstellung von Schrauben beschäftigt. Wir wohnten in Oberschönweide in Baracken, die von der Fabrik etwa 5 km entfernt waren. Die ersten sechs Wochen bekamen wir keine Entlohnung, daher legten wir den Weg zur Arbeit zu Fuß, später dann mit der Straßenbahn zurück. Die Arbeitszeit betrug 12 Stunden täglich (samstags 8 Stunden). Der Lohn betrug ungefähr 30 Mark monatlich, nach Abzug der Verpflegungs- und Unterkunftskosten.

Die Ernährung war die ganze Zeit geradezu miserabel und wir litten ständig unter Hunger. Einmal war ich erkältet. Ich besuchte den Arzt, der in einem primitiven, nicht entsprechend ausgestatteten Raum amtierte. Die wenige Freizeit verbrachte ich hauptsächlich mit der Reparatur und der Wäsche der Kleider. Sonntags ging ich in die evangelische Kirche, obgleich ich katholisch bin.
Zu den negativen Erlebnissen aus dieser Zeit gehörte die Ausgangssperre. Ich persönlich erfuhr keine körperliche Repressionen (Schlagen). Der Briefwechsel mit der Familie erfolgte ohne Hindernisse, bis sich die Situation an der Front änderte.

Das Bild Berlins änderte sich nach den zunehmenden Bombardierungen. Im Februar 1944 zerstörten Brandbomben unsere Baracken. Infolge dessen waren wir gezwungen, im Kellern zu wohnen. Die Kontakte mit der deutschen Bevölkerung beschränkten sich auf das Ausführen der Anweisungen bei der Arbeit. Hier möchte ich aber betonen, dass ich die persönlichen Kontakte mit der deutschen Bevölkerung eher mied. Zu dieser Zeit betrachtete ich jeden Deutschen als meinen Feind und einen Nazi. Das resultierte aus vielerlei Gründen, u.a. daraus, daß ich Augenzeuge einer Exekution war: In Zgierz sah ich zu, als man in der Piątkowska-Straße 51, etwa 200 m von meiner Wohnung entfernt, eine Exekution von 100 polnischen Geiseln durchführte. Allen klebte man vor der Erschießung den Mund mit Gips zu. Aus der ganzen Umgebung trieb man die polnische Bevölkerung zusammen, damit sie mit eigenen Augen diesen Mord sah. Das werde ich niemals vergessen.

Während des Krieges waren zwei meine Brüder von meinen vier Geschwistern ebenso bei der Zwangsarbeit. Der ältere Bruder in Bydgoszcz (Bromberg), der jüngere in Królewiec (Königsberg). Der Sohn meines Bruders wurde im Alter von 14 Jahren in die Gegend von Hamburg verschleppt (Prisdorf bei Pinneberg).

Kurz vor der Beendigung der Kriegshandlungen wurde ich zusammen mit einer Gruppe von Frauen in die Gegend östlich von Berlin gebracht, wo wir Befestigungen bauen sollten. Dort erfolgten nach etwa zwei Wochen der endgültige Zusammenbruch und die massenhafte Flucht der deutschen Bevölkerung. Das Gebiet wurde von der sowjetischen Armee besetzt.

In meine Heimatstadt Zgierz kehrte ich mit verschiedenen Fahrtgelegenheiten drei Tage lag zurück. Es war noch vor der offiziellen Kapitulation des 3. Reiches. Am 15.5.1945 nahm ich die Arbeit in einer Schneiderei auf, und bis 1973, d.h. bis meiner Rente, arbeitete ich in verschiedenen Betrieben der Leichtindustrie.

xxxxxx

Frau Gisela Wenzel möchte ich meine Dankbarkeit für Ihre Initiative ausdrücken. Es ist nur Schade, dass solche Initiativen nicht früher entstanden sind. Heute stehe ich vor dem Ende meines Lebens, und viele Ereignisse von damals verwischten sich unwiderruflich in meinem Gedächtnis.

Mit herzlichen Grüßen
xxxxx

Łódź, den 31.12. 1997


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    Dokument in Kopie: Arbeitskarte der ehemaligen Zwangsarbeiterin Irena Sz.; Firma Kromareck und Kniens GmbH, Berlin; ausgestellt am 23.11.1942
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DZSW 1430
Kurzbeschreibung

Irena S. beschreibt die Lebens- und Arbeitsumstände in der Zeit der Zwangsarbeit. Sie selbst erlitt keine Repressalien, aus Angst mied sie aber jeglichen Kontakt zu der deutschen Bevölkerung, da sie Zeugin einer Exekution in Polen war.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1912

 

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Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

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