Abschrift: Xxxxx

geboren am 2.12.1929 in Zduńska Wola,
Ausbildung: Abitur, Beruf: Hebamme,
xxxxx

An Frau Gisela Wenzel, die Leiterin des Forschungsprojektes

Sehr geehrte Frau Wenzel,

auf Ihr Schreiben antwortend, werde ich mich bemühen, mich an Einiges zu erinnern. Obwohl es mir schwer fällt, da über 50 Jahre vergangen sind und das Gedächtnis im Alter von 70 Jahren lückenhaft ist. xxxxx. Also mein Aufenthalt in Berlin begann am 13. August 1944 und dauerte bis zum Oktober 1945, wobei ich später nach Ulm gebracht wurde, wo ich weiterhin bei Telefunken arbeitete.

In Berlin arbeitete ich im Betrieb 12 Stunden täglich in der Tag- und Nachtschicht. An einem großen Rad ... montierte ich Glasstücke, die für Lampen für Flugzeuge dienten. Zur Arbeit fuhr ich mit der S-Bahn. Ich arbeitete als 15jähriges Kind beim Hunger und in ständiger Angst, weit von den Eltern und in der Fremde; deutsche Arbeitgeber rügten mich und trieben schreiend zur Arbeit an. Ich konnte die Sprache nicht und es war unerträglich. Kein Erbarmen, kein Verständnis, als wären wir des Krieges schuldig. Und doch war es der Einfall von Hitler, die Welt zu erlösen und seiner Nation goldene Berge zu versprechen. Dabei hinterließ er Trümmer, Tränen und Verzweiflung. Millionen menschliche Wesen kamen um. Aber jetzt Schluss mit der Politik, man soll vergessen, wie die „Versöhnung“ sagt.

In Berlin wohnte ich am Rande der Stadt, in Reinickendorf, wo viele Holzbaracken mit dem Stacheldraht umzäunt standen. Geschlafen habe ich auf Etagenpritschen, unter einer Decke aus Schäbe, mit einem Kopfkissen mit Stroh unter dem Kopf. Die Ernährung war schlecht. Man gab uns weder ein Frühstück noch etwas zur Arbeit, nur den Becher Schwarzkaffee ohne Zucker. Zu Mittag gab es Suppe aus Steckrüben oder Wirsing mit verfaulten Kartoffeln, Fliegen und Würmern. Zum Abendbrot - zwei Scheiben Schwarzbrot, einen Löffel Marmelade aus Steckrüben und Schwarzkaffee. So war unsere Ernährung. Wenn jemand Pakete von Zuhause bekam, teilte den Inhalt mit anderen. Auf diese Weise konnte man überleben. Ich hatte niemanden, der mir etwas zuschicken konnte, da mein Vater in Auschwitz war und meine Mutter zum Ausheben der Schützengräben deportiert wurde und dort starb. Nur meine Tante schickte mir manchmal ein paar Mark zu, so dass ich nach der schweren Arbeit Kartoffelpuffer oder Eis essen ging, da man nichts anderes kaufen konnte, weil wir keine Zuteilungskarten bekamen.

Ob es irgendwelche Entlohnung gab, weiß ich nicht mehr. Und wenn schon, so hätte sie uns für nichts gereicht. Vielleicht nur für diese Kartoffelpuffer, die eklig waren. Wenn ich heute an sie denke, wird mir gleich schlecht. Ob ich versichert war, wurde ich nicht informiert. Die medizinische Versorgung - keine. Wurde jemand krank, so plazierte man ihn in der Krankenstube, von wo er meistens nicht wiederkehrte. Daher versuchten wir, diesen Ort zu meiden und behandelten uns, wie man eben konnte, meistens mit Knoblauch, zugeschickt von der Familie. Kontakte mit der Familie gab es nur brieflich, und der Briefwechsel wurde kontrolliert. Nicht immer bekam ich die Briefe.

Zu dieser Zeit beschränkte sich meine Ausbildung auf die zweite Klasse der Grundschule. In der Freizeit gingen wir entweder Kartoffelpuffer essen oder besuchten die evangelische Kirche, nachdem wir den Buchstaben „P“ abgenommen hatten, damit man uns nicht erkannte. Wir wollten dort beten, damit dieses Grauen zu Ende kam. Das Verhältnis der Deutschen zu uns war eher feindlich, boshaft, mißtrauisch. Sie schauten verächtlich auf uns, als sie den Buchstaben „P“ sahen. Die älteren Menschen hatten mehr Verständnis. Und am schlimmsten war die Jugend, die sogenannte Hitlerjugend, die uns mit „polnischen Schweinen“ beschimpfte und bespuckte. Sie dachten, sie werden die Welt erobern.

Meine schlimmsten Erinnerungen, die in mir steckengeblieben sind, hängen damit zusammen, als man uns ins Dampfbad getrieben hatte, wo wir uns nackt ausziehen mussten, da unsere Kleider zur Dämpfung und Entlausung gebracht wurden. Dieser Platz wurde von den SS-Männern mit Waffen umstellt, die uns bewachten. Uns so stolzierten wir vor ihnen nackt im Schnee. Sie lachten und wir verdeckten verängstigt mit den Händen die intimen Körperteile. Als dann drin die Fenster zugemacht wurden, dachte ich, sie ließen Gas hineinströmen, um uns umzubringen. Denn es gab so viel von diesem Dampf, so dass eine die andere nicht sehen konnte. Dann machte man uns Fotos mit einer Tafel mit der Nummer, wie den Häftlingen in Lagern.
Hätte ich ein gutes Gedächtnis, so würde ich ein Buch unter dem Titel „Polnische Kinder in der Berliner Gefangenschaft“ schreiben. Aber es ist schon zu spät. Die Begegnungen mit der deutschen Bevölkerung waren für uns verboten. Berlin selbst war eine schöne Stadt. Am Anfang standen hier schöne Wohnhäuser und öffentliche Gebäude, aber die immer häufigeren Bombardierungen bewirkten, dass es zu einer verbrannten Stadt mit Stumpfen von Bauten und Trümmern wurde. Ich möchte gerne Berlin noch vor meinem Tod sehen. Aber das ist nicht möglich. Meine Baracke und die Fabrik wurden ebenfalls niedergebrannt.
Nach dem Krieg schloss ich die mittlere und die Berufsschule ab, heiratete, xxxxx
Ich schließe diese Erinnerungen ab und hoffe, diese menschliche Tragödie wird sich niemals wiederholen. Damit die nächsten Generationen im Frieden und in der Eintracht leben, soll die Versöhnung erfolgen. Ich freue mich, dass sich jemand mit der Forschung des Unrechts befasst, das uns das 3. Reich zugefügt hat. Ich grüße Sie und das ganze Team des Forschungsprojektes ganz herzlich. Ich füge zwei Fotos bei.


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    Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Krystyna M.: Fotografie von Krystyna M. (links) und einer weiteren jungen Frau; (Berlin, Dezember 1944)

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DZSW 1454
Kurzbeschreibung

Als 15-jähriges Mädchen stellte Krystyna M. Flugzeugteile her. Sie empfand häufig Angst und fühlte sich gedemütigt. Das Erlebnis der Desinfektion und der Entlausung, und die damit verbundene Erniedrigung sind ihr bis heute sehr in Erinnerung geblieben.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1925

Angaben zur Zwangsarbeit

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Krystyna M.: Fotografie von Krystyna M. (links) und einer weiteren jungen Frau; (Berlin, Dezember 1944)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt