Abschrift: Xxxxx

geboren am 26. April 1928 in Łódź
Ausbildung: Abitur

Als der Krieg ausbrach, war ich lediglich 11 Jahre alt. Die große Angst und der Schrecken löschten das Lächeln und die Unbekümmertheit aus meinem Gesicht, und dann verschwanden auch die Wärme, der Schutz und das Glück meiner Familie und unserer gemütlichen Wohnung. Zunächst wurde ich mit meiner ganzen Familie: der uns liebenden Mutter und meinen zwei heranwachsenden Brüdern aus unserer Wohnung in ein Zimmer in einem anderen Wohnhaus in Łódź, in der Andrzej-Straße umgesiedelt, um einer deutschen Familie Platz zu machen.

Als ich 13 eineinhalb wurde, verpflichteten mich die Besatzungsbehörden zur Arbeit und wiesen mich in die Fabrik Albrecht Gampe ein. ... Dort arbeitete ich von 1942 bis 1943. Eines Tages im September 1943 kamen in die Fabrik deutsche Arbeitsamtsbeamte und führten uns unter Bewachung zu einer kleinen Fabrik in der Kopernik-Straße. Hier blieben wir, nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene, ein paar Tage lang. Die Bedingungen waren menschenunwürdig: Tage und Nächte standen wir. Und falls jemand ein freies Stückchen zum Hinsetzen fand, da wartete er voller Angst auf das Übel, das Unbekannte, von dem man nicht wusste, wohin es führt. Welche Erleichterung für das sorgenschwere Herz, welche Freude und Hoffnung es war, als man mir einmal erlaubte, meinen Bruder zu sehen. Ich erinnere mich, er brachte mir warme Kleider und eine Decke mit. Aber damals ahnten wir noch nicht, dass wir alle so weit zur schweren Arbeit verschleppt werden.

So geschah es auch. Nach ein paar Tagen wurden wir zum Bahnhof Łódź Kaliska geführt. Ich hatte keinen Kontakt mit meiner Familie mehr. Wie groß musste der Schmerz der Mutter sein, die nichts vom Schicksal ihres Kindes wusste, das so brutal dem Schutz ihrer Fittiche entrissen wurde. Man lud uns unter unmenschlichen Bedingungen in die Viehwaggons ein. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir bis Frankfurt/Oder brauchten. Hier trieb man uns in die Baracken, deren ganze Einrichtung die aus Brettern zusammengezimmerten Pritschen ohne Bettzeug waren. Diese Pritschen waren unser Aufenthaltsort tags- und nachtsüber. So verbrachten wir ein paar Tage bei Kälte und Hunger. Man ließ uns baden, dann wurden wir der Reihe nach registriert, in Gruppen geteilt und nach verschiedenen Orten geschickt.

Ich gelangte nach Berlin in die Fabrik E. Heinkel, Berlin Grünau Waltersdorf, in der ich anfangs bei der Qualitätskontrolle (Messungen mit der Schiebelehre) der Flugzeugteile arbeitete. Diese Arbeit war insofern gut, weil sie in geschlossenen Räumen erfolgte. Aber sie dauerte 12 Stunden täglich (wie hoch die Entlohnung für diese Arbeit war, weiß ich nicht mehr), oft unterbrochen durch die Luftangriffe: ständig große Angst, Flucht in den Luftschutzraum. Wir arbeiteten unter Zivilisten, die uns während der Arbeit nicht quälten. Sie konnten uns zwar nicht helfen, aber sie schauten uns an, und das war wohl Mitleid.

Ich erinnere mich, als ich einmal alle Verbote vergaß und mir außerdem sicher war, dass niemand Polnisch versteht, und meiner Kollegin über die irgendwo aufgeschnappten Neuigkeiten berichtete, den Nazis sei eine Aktion nicht gelungen, worüber ich mich sehr freute. Und ich sagte, dass sei das Ende ihrer Umtriebe. Plötzlich hörte ich hinter meinem Rücken die leise Stimme eines SS-Mannes auf Polnisch: „Mein Kind, du darfst so nicht reden, weil du deine Mutter nicht mehr sehen wirst.“ Ich war erschrocken, aber auch höchst verwundert. Bis zum Ende blieb ich dann wachsam. Es war aber ein Fünkchen Hoffnung, dass nicht alle Deutschen gleich sind.

Nach der für das 14jähriges Kind ermüdenden, mehrstündigen Arbeit, kehrten wir hinter einen anderen Zaun zurück. Es war das gleiche Gelände, auf dem sich das Lager befand. Die Pritschen waren ein wenig bequemer, denn mit einem gestopften Strohsack, oft mit einem Nest von Mäusen, die vor Hunger piepsten. Und auf unseren Köpfen führten die Läuse ihr Treiben. In den Lagerräumen (denn ich kann sie nicht als Zimmer bezeichnen) wurden Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und unterschiedlichen Alters untergebracht. Das einzig Positive war, dass die älteren Frauen für uns wie Mütter waren.
Die Zeit nach der Arbeit - die Nachmittage oder eher Abende und Nächte waren noch gefährlicher: ständige Luftangriffe, Flucht in den Luftschutzraum, und das wieder und wieder. Morgens war es schrecklich. Das Gehör ließ vor Erschöpfung nach, so dass es oft unmöglich war, pünktlich zur Arbeit aufzustehen. Nach einiger Zeit wurden wir (ich und meine Kollegin) zur Strafe für Verspätungen von dieser Arbeit versetzt. Wir mussten draußen arbeiten, wo wir Bretter zur Baustelle trugen, da dort die Häftlinge unter scharfer Bewachung eines Wachmannes Baracken bauten. Die Strafe dauerte etwa einen Monat. Dann nahm man mich zur Arbeit in der Pförtnerloge und zugleich der Garage für die Fahrräder deutscher Arbeiter, die aus der Umgebung kamen. Diese Arbeit war sehr schwer, da sie meistens im Regen oder bei Frost erfolgte. Die Pausen zwischen dem Ankommen und Weggehen der Arbeiter verbrachte ich in einem Raum, wo ein Deutscher saß und verschiedene Sachen erledigte: die Post, Amtsgänge usw. Nebenan befand sich die richtige Pförtnerloge, in der der Wachmann und Pförtner, xxxxx saß; dort gab es auch das Zimmer der Wachmänner und der SS-Männer. Ich erinnere mich an einen Namen: xxxxx. Und hier, in diesem Raum, konnte ich die Erinnerung an meine Heimat, meine Familie, meine liebste Mutter heraufbeschwören. Hier konnte ich Briefe schreiben und zumindest auf dem Papier mein Leid, meine Sehnsucht und meinen Hunger ausdrücken. An meine Mutter schrieb ich u.a. das Gedicht „Sehnsucht“, das ich später auch meinen Kindern vorlas. Obgleich es für mich ein Erinnerungsstück ist, überreiche ich es Ihnen.

Meine Arbeit an diesem Ort dauerte bis zur Befreiung.

Die Freizeit verbrachten wir unterschiedlich: im Sommer gingen wir nachmittags hinter den Lagerzaun hinaus, und am Rande des Waldes lagen wir auf den Decken, ruhten uns aus und sangen leise. Man erlaubte uns, im Lager Tanzabende zu veranstalten. Dadurch konnten wir oft den Hunger vergessen. Die Rationen z.B. vom Brot waren zu klein für einen kleinen, jungen, durchfrorenen und überarbeiteten Menschen. Für 5 Tage bekamen wir z.B. 1,25 Kilo Brot, 150 Gramm Margarine, 150 Gramm Wurst. Das war für das Frühstück und Abendbrot. Zu Mittag bekamen wir irgendeine Suppe, man konnte ihren Geschmack nicht erkennen, Blutwurst und Kartoffeln.


Gut, dass immer weniger in meinem 70jährigen Gedächtnis bleibt.
Xxxxx xxxxx. Diese Verschleppung beeinflusste dauerhaft und negativ meine Gesundheit. Von den Erinnerungstücken, die mir nach der Zwangsarbeit geblieben sind, habe ich den Brief, geschrieben an meine liebste Mutter, und ein paar Fotos von mir und meinen Kolleginnen.


xxxxx


  • 1 von 5 Seiten
  • 2 von 5 Seiten
  • 3 von 5 Seiten
  • 4 von 5 Seiten
  • 5 von 5 Seiten
  • Informationen zum Bild

    1. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Alicja N.: Porträtfotografie einer Frau ; (Berlin, Waltersdorf)

    1 von 5 Bildern
  • Informationen zum Bild

    2. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Alicja N.: Porträtfotografie einer Frau; (Berlin-Grünau, Waltersdorf, 16.09.1944)

    2 von 5 Bildern
  • Informationen zum Bild

    3. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Alicja N.: Porträtfotografie dreier Frauen, Alicja N. sitzend; (Berlin, Waltersdorf, 16.10.1944)

    3 von 5 Bildern
  • Informationen zum Bild

    4. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Alicja N.: Gruppenbild vierer Frauen vor einem Denkmal in Berlin

    4 von 5 Bildern
  • Informationen zum Bild

    5. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Alicja N.: Gruppenbild vierer Frauen (mit Polenabzeichen)

    5 von 5 Bildern
DZSW 1509
Kurzbeschreibung

Bereits mit 13 Jahren erhielt Alicja N. die Verpflichtung zur Arbeit. Ihre Verschleppung nach Berlin erfolgte ein Jahr später. Aufgrund der vielen Angriffe und der Erschöpfung verspätete sie sich häufig bei der Arbeit. Dafür erhielt sie eine Strafe und musste bei strenger Kälte beim Barackenbau mithelfen.

 

Herkunftsland: Polen

Geburtsjahr: 1928

Angaben zur Zwangsarbeit
Weitere Objekte

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

1. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Alicja N.: Porträtfotografie einer Frau ; (Berlin, Waltersdorf)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

2. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Alicja N.: Porträtfotografie einer Frau; (Berlin-Grünau, Waltersdorf, 16.09.1944)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

3. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Alicja N.: Porträtfotografie dreier Frauen, Alicja N. sitzend; (Berlin, Waltersdorf, 16.10.1944)© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

4. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Alicja N.: Gruppenbild vierer Frauen vor einem Denkmal in Berlin © Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt

5. Fotografie der ehemaligen polnischen Zwangsarbeiterin Alicja N.: Gruppenbild vierer Frauen (mit Polenabzeichen)
© Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit / Slg. Berliner Geschichtswerkstatt